Es gibt Bücher, die nicht deshalb etwas in uns bewegen, weil sie uns etwas vollkommen Neues erzählen – sondern weil sie uns das vor Auge führen, was wir längst wissen oder geahnt haben. Und weil sie in einfachen Worten formulieren, was wir tief in uns spüren, aber vielleicht noch nicht benennen konnten.

Die „Let Them Theory“ von Mel Robbins ist so ein Buch.

Zwei Worte stehen im Zentrum ihrer Botschaft: „Lass sie.“ Und obwohl sie so schlicht daherkommen, sind sie alles andere als banal. Sie beschreiben eine Haltung, die ebenso klar wie herausfordernd ist. Eine Haltung, die uns lehrt, genau zu unterscheiden: Was gehört zu mir – und was nicht? Wo beginnt mein Einfluss – und wo hört er auf?

Denn das eigentliche Drama beginnt oft nicht im Außen, sondern in unserem Bedürfnis, die Dinge beeinflussen zu wollen, die wir nicht kontrollieren können. Zum Beispiel, wie uns andere Menschen wahrnehmen. Wie sie über uns denken. Ihre Reaktionen. Ihr Bild von uns.

Warum Kontrolle keine Verbindung schafft

Wir versuchen, gemocht zu werden, indem wir andere Beeinflussen. Wir wollen Konflikte vermeiden, indem wir uns anpassen. Wir glauben, Verantwortung zu übernehmen, wenn wir uns um alles kümmern – auch um das, was andere Menschen denken oder entscheiden.

Doch in Wahrheit erzeugt dieses ständige Management fremder Erwartungen keine Nähe, sondern Anspannung. Denn in dem Moment, in dem wir versuchen, die Innenwelt eines anderen zu gestalten, verlieren wir die Verbindung zur eigenen. Wir reagieren. Interpretieren. Optimieren.

Und dabei entsteht eine stille Erschöpfung – nicht, weil wir zu wenig tun, sondern weil wir an der falschen Stelle versuchen, Wirkung zu erzielen. „Lass sie“ ist eine Einladung, damit aufzuhören. Nicht aus Trotz. Nicht aus Ohnmacht. Nicht als Rückzug. Sondern um unserer Selbst willen. Aus Selbstachtung. Und als Selbstermächtigung

Was wirklich zu dir gehört – und was nicht

Wenn jemand Dich falsch versteht, Dich kritisiert oder sich abwendet – wie oft denkst Du dann: Was habe ich falsch gemacht? Vielleicht hast Du gar nichts falsch gemacht. Vielleicht liegt es am anderen, und gar nicht an Dir. Und vielleicht ist die wichtigste Entscheidung in diesem Moment nicht, die Wahrnehmung des anderen beeinflussen zu wollen – sondern gar nichts zu tun.

Denn so schwer das manchmal auszuhalten ist: Du kannst nicht steuern, wie andere Menschen Dich sehen. Du kannst nicht garantieren, dass Dich jeder versteht. Und Du wirst nicht verhindern können, dass sich jemand von Dir ein Urteil bildet, das Dir nicht gerecht wird. Geh einfach davon aus, dass andere sowieso in manchen Momenten schlecht über Dich denken. Sogar diejenigen Menschen, die Dir am meisten bedeuten. Mit Dir ist es ja auch nicht anders. Auch Du könntest manchmal Deine(n) Partner(in), Deine Kinder oder Deine Kollegen zum Mond schießen. Und das, was Du dann denkst, ist sicherlich nicht sehr nett – und auch nicht immer gerecht. Und den anderen geht es genauso mit Dir. Es ist also ganz normal!

Was du aber steuern kannst, ist Deine Reaktion, Deine Haltung und die Entscheidung, Verantwortung genau dort zu übernehmen, wo sie wirklich zu Dir gehört – und nicht darüber hinaus.

Loslassen ist keine Kapitulation – sondern ein Akt der Souveränität und Selbstermächtigung

Viele Menschen verwechseln Loslassen mit Gleichgültigkeit. Aber das eine hat mit dem anderen wenig zu tun. Wer sagt „Lass sie“, sagt nicht „Es ist mir egal“. Sondern: „Ich erkenne an, dass ich Deine Wahrnehmung von Dir nicht kontrollieren kann.“

Diese Haltung entlastet – und sie befreit. Denn sie führt zurück zur Selbstwirksamkeit. Zurück zu dem, was Du tatsächlich gestalten kannst: Deinen Umgang mit Konflikten. Deinen Umgang mit Zurückweisung. Deinen Umgang mit Meinungen, die nicht Deine sind. Und je klarer Du diese Grenze ziehst, desto ruhiger wirst Du für Dich in Deinem Inneren. Weil du aufhörst, dich für Dinge zu verausgaben, die Du nicht verändern kannst. Und weil Du beginnst, die Energie dorthin zu lenken, wo sie wirklich etwas bewirkt.

Und das ist der zweite, und vermutlich sogar wichtigere Teil der „Let Them Theory“: „Lass mich!“  

Wie du diese Haltung trainieren kannst

Loslassen ist kein Talent. Es ist eine Fähigkeit. Und wie jede Fähigkeit lässt sie sich üben – durch bewusste Entscheidung, durch Wiederholung, durch Geduld. Wenn du den Satz „Lass sie“ nicht nur verstehst, sondern verinnerlichen willst, kann dir folgende Praxis helfen:

  1. Wahrnehmen, wenn Du Dich in fremde Themen verstrickst. Jedes Mal, wenn Du merkst, dass Dich die Meinung, das Verhalten oder die Erwartung einer anderen Person belastet, halte kurz inne.

  2. Den Fokus zurück zu Dir holen. Frag Dich: Was ist mein Anteil – und was nicht? Reagierst Du selbstmächtig auf einen tatsächlichen Konflikt, oder versuchst Du nur, das Bild zu korrigieren, das jemand anderes von Dir hat?

  3. Die Verantwortung bewusst dort lassen, wo sie hingehört. Unterscheide zwischen „Lass Sie“ – was immer sie denken oder meinen – und „Lass mich“ meinen eigenen Werten, Bedürfnissen, Zielen und Träumen entsprechend handeln.

Diese einfache Übung hilft, sich innerlich zu sortieren – ohne in Rückzug oder Rebellion zu gehen. Sie stärkt Deine emotionale Selbstregulation und macht Dich freier in Deinem Denken und Handeln.

Was bleibt, wenn du loslässt

Die Menschen um Dich herum werden sich nicht plötzlich ändern. Vielleicht nie. Und Du musst entscheiden, ob und wie Du damit umgehen möchtest. Manche werden Dich weiterhin nicht verstehen. Andere werden sich entfernen, wenn Du aufhörst, Dich anzupassen. Das gehört dazu. Und Du hast besseres verdient, als das Dich jemand wertschätzt, nur weil Du SEINEN oder IHREN Bedürfnissen gerecht wirst.

Aber etwas in Dir wird sich grundlegend verändern: Du wirst klarer. Ruhiger. Und unabhängiger von der Bestätigung im Außen. „Lass sie“ ist kein Dogma. Es ist kein Trick. Es ist eine stille Entscheidung, dich selbst nicht mehr zu verlieren – nur weil andere Dich anders sehen, als Du bist.

Fazit: Was jemand über dich denkt, sagt mehr über ihn aus, als über dich

Du bist nicht dafür da, jedes Missverständnis zu klären. Nicht dafür, das Bild, das jemand von Dir hat, krampfhaft zurechtzurücken und in Depressionen zu verfallen, wenn es Dir nicht gelingt – weil es ohnehin unmöglich ist. Und schon gar nicht dafür, es allen recht zu machen. Was du tun kannst: Präsent bleiben. Klar bleiben. Und vor allem bei Dir bleiben.

Wenn Dich also das nächste Mal etwas triggert, das gar nicht zu Dir gehört – versuch’s mit diesem Satz:„Lass sie.“ Nicht als Abwehr, sondern als Erinnerung: Du darfst loslassen, was nicht deins ist.

Beim ersten mal musst Du es wahrscheinlich viele Male wiederholen, bis es wirkt. Gib nicht gleich auf. Es wird dauern. Mach es so lange, bis es anfängt Dich zu beruhigen und wieder zu erden. Und von mal zu mal, wirst Du weniger Wiederholungen brauchen. Bis es irgendwann reicht, es Dir nur noch einmal zu sagen. Wie gesagt, man muss es einfach trainieren. Aber dann ist die Wirkung magisch!