Wahrscheinlich kennst Du das: Etwas triggert Dich kognitiv oder emotional, aber Du verbietest Dir erst einmal eine Reaktion. Das ist in vielen Fällen sozial so antrainiert bzw. erwünscht und auch gar nicht schlimm, aber wenn Du anfängst Dinge in Dich „hineinzufressen“ wird es ungesund und toxisch. Und irgendwann „läuft das Fass über“ und man „kotzt“ sich so richtig aus.
Aber was passiert da genau? Und wie kann man es verhindern?
Nun, zunächst ist ja erst einmal die semantische bzw. metaphorische Kraft und Bedeutung dieser Bilder interessant: Ein Fass läuft langsam voll, und irgendwann – weil dort kein Platz mehr für weitere Flüssigkeit ist – über. Und die Flüssigkeit ergiesst sich von innen nach außen. Oder man ist so lange, bis der Körper mit dem Essen nicht mehr umgehen kann und in einem Akt des Selbstschutzes bzw. der Selbstfürsorge einen Brechreiz auslöst, der dazu führt, dass man sich übergeben muss. Und was dort auf der körperlichen bzw. physiologischen Ebene passiert, gilt sinnbildlich genauso auch für unsere Seele.
Wenn wir unsere Störgefühle und das, was uns triggert, nicht auf gesunde Weise externalisieren, sprich äußern, läuft das sprichwörtliche Fass irgendwann über. Und das hat meistens relativ hohe Kosten für uns und unsere Beziehungen. Denn oft führt das zu einer Art „Vulkanausbruch“, der von den relevanten Menschen nicht erwartet wird, diese erst einmal überrascht und auch irritiert – weil die Reaktion oft erst einmal nicht verhältnismäßig erscheint („Tropfen“ vs. „Überlaufen“). Das erleben wir auch selbst mit anderen und sind dann ebenfalls erst einmal „vor den Kopf gestossen“.
Was können wir also im Sinne von zunehmender Resilienz tun, um das Fass gar nicht erst volllaufen zu lassen und damit auch am Überlaufen zu hindern?
Im Kern hat das vor allem damit zu tun, uns selbst zu erlauben, unsere Störgefühle und Bedürfnisse „gewaltfrei“ zu äußern und so für uns selber einzustehen (siehe auch ‚Gewaltfreie Kommunikation‘)
Leider haben wir das oft nicht gelernt bzw. trainiert. Als Kleinkinder haben wir zunächst erst einmal nur die Möglichkeit unsere Bedürfnisse über Lächeln bzw. Heulen und Schreien kundzutun. Wenn wir dann langsam reden lernen, wenden wir diese Verhaltensweisen dann weiterhin an, weil sie so effizient sind, um zu bekommen, was wir uns wünschen. Das wird von den meisten Eltern als anstrengend empfunden und unterdrückt. Im Ergebnis lernen wir, dass unsere Bedürfnisse anscheinend nicht relevant sind, geäußerte Emotionen eher unerwünscht scheinen und fangen an, sie in uns „hineinzufressen“ – und verlernen, unsere Bedürfnisse „gewaltfrei“ in Bezug auf die Bedürfnisse anderer zu verhandeln.
Aber genau diese Fähigkeit ist extrem wichtig für unsere psychologische Gesundheit – und die der anderen.
Damit unser „Fass nicht voll und überläuft“, ist es daher wichtig:
- Unsere Bedürfnisse erst einmal selbst zu verstehen (Bewusstheit)
- Uns diese Bedürfnisse auch selbst zuzugestehen (Erlaubnis)
- Und diese Bedürfnisse auch gegenüber anderen zu vertreten und zu verhandeln (Kommunikation)
Dies ist besonders für diejenigen Menschen nicht einfach, denen entweder vermittelt wurde, dass ihre Bedürfnisse weniger relevant sind, als diejenigen anderer, und dass sie sich gefälligst unterzuordnen haben, oder die die Erfahrung gemacht haben, dass das äußern und einfordern der eignen Bedürfnisse zu massiven Beziehungsstörungen geführt hat. Die Gefahr dabei ist, dass sie das „Fressen & Explodieren“-Verhalten jetzt allerdings auch auf diejenigen Menschen anwenden, die grundsätzlich bereit wären, die jeweiligen individuellen Bedürfnisse zu verhandeln. Außerdem verbauen sie sich natürlich implizit, dass das Gegenüber ihre Bedürfnisse ernst nehmen kann, wenn sie als „Vulkanausbruch“ daherkommen.
Insofern ist es also wichtig zu trainieren, die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen und möglichst frühzeitig in klaren Ich-Botschaften zu äußern und zu verhandeln, statt den wachsenden Frust über deren Nichterfüllung sukzessive in sich hineinzufressen, ohne dass das Gegenüber die Chance hat darauf zu reagieren.
Im oben beschriebenen Sinne erfordert das Bewusstheit, Selbsterlaubnis und neutrale, gewaltfreie Kommunikation. Und auch hier gilt der Weg der kleinen Schritte. Beginne mit einem Menschen der Dir prinzipiell wohlgesonnen ist und starte mit einem Thema, Bedürfnis, das relativ unbedeutend, aber trotzdem unerfüllt ist [„Ich würde jetzt gerne (lieber) …]. Die Reaktion ist dann oft: „Kein Problem, gerne …“ oder „Ich wusste gar nicht, dass Dir das wichtig ist …“ Von dort und mit den ersten positiven Erlebnissen und Erfolgen kann man sich dann langsam zu den großen Themen und herausfordernderen Beziehungen vorarbeiten.
Das schöne daran: Dieses trainieren führt vermutlich dazu, dass Dein Fass nie wieder überlaufen muss, weil alles, was Dich bewegt, bereits vorher gelöst wurde. Was für ein schöner Gedanke!