Für unser Wohlbefinden ist es extrem wichtig, dass wir das Gefühl haben, von anderen wahrgenommen und gesehen zu werden – und zwar so, wie wir sind. Nur dann können wir uns auch wirklich angenommen fühlen. Und das Ganze gilt natürlich auch anders herum – auch wir wollen wissen, wer die andere Person uns gegenüber wirklich ist. Denn nur so können wir Vertrauen aufbauen.

Aber warum hat man oft das Gefühl nicht gesehen zu werden? Und warum hat das ggf. mehr mit einem selbst zu tun, als mit dem vermeintlichen Desinteresse der anderen?

Die Antwort ist unglaublich einfach – aber nicht ganz so einfach umzusetzen. Denn gesehen werden und einen anderen Menschen sehen können hat sehr viel damit zu tun, dass man nur gesehen werden kann, wenn man sich auch zeigt. Und das tun wir oft nicht. Und es ist uns gar nicht bewusst, dass wir es nicht tun. Und dann fragen wir uns: „Warum sieht mich denn keiner?“

Einer der Gründe dafür ist die Angst vor Ablehnung. Und so versuchen wir oft diejenigen zu sein, von denen wir glauben, dass es andere von uns erwarten. Das ist im Grunde ein sehr toxisches und auch manipulatives Verhalten, bei dem wir überlegen: „Was erwartet der/die andere jetzt wohl von mir? Was müsste ich tun, damit er/sie mich mag / liebt / attraktiv oder begehrenswert findet?“ Und das ist natürlich das absolute Gegenteil von sich zeigen. Die Angst vor Ablehnung ist also oft größer als der Wunsch nach Authentizität und echter Verbundenheit. Aber man kann das eine Gottseidank verlernen, und das andere lernen.

Wie lässt sich das Sich Zeigen also lernen bzw. trainieren?

  1. Dafür ist im ersten Schritt erst einmal Bewusstheit notwendig. Also für sich selbst in einer spezifischen Situation festzustellen: „Was macht das gerade mit mir? Welche Gefühle löst es in mir aus? Welche Gedanken oder Emotionen habe ich? Was würde mir in diesem Moment gut tun / Kraft geben / mich bei mir selbst sein/bleiben lassen? Was würde ich mir jetzt wünschen das passiert, oder wie sich der andere verhält?“ Es geht also im ersten Schritt um einen Moment des Innehaltens und der Selbstbeobachtung.
  2. Der zweite Schritt ist dann der vermeintlich schwierigere: Diese Selbstbeobachtung auch gegenüber der anderen Person auszusprechen. Das ist der Moment, wo sich vermutlich die Abwehr breit macht, und man ggf. Angst vor den möglichen Konsequenzen bekommt. Deshalb ist es wichtig, diese Beobachtung vollkommen neutral auszusprechen – möglichst ohne Bewertung und vor allem ohne „Anklage“ der anderen Person gegenüber. Zum Beispiel mit Sätzen wie: „Das ist spannend. Wenn ich in mich reinführe merke ich, das dieses Gespräch / was gerade passiert ist … mit mir macht.“ Auf diese Weise wird man für die andere Person sichtbar und sie kann sich ggf. auch zeigen: „Ich hätte niemals gedacht, dass … das mit Dir macht. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich …!“ Und so entsteht quasi ein Dialog des gegenseitigen Zeigens und Gesehenwerdens, der oft vollkommen neue Perspektiven ermöglicht und dazu führt, sich viel verbundener zu fühlen.

Am besten probiert man das sich zeigen erst einmal mit Personen und in Momenten aus, in denen man sich relativ sicher fühlt –also nicht gleich in einer stark konfrontativen Situation, in denen die Angst, sich tatsächlich zu zeigen, vermutlich besonders hoch ist. Aber das Ziel ist natürlich, dass man mit dem Üben und den so gewonnenen positiven Erfahrungen irgendwann auch in der Lage ist, sich in herausfordernden Situation zu zeigen und gesehen zu werden. Denn es ist ein unglaublich kraftvolles Instrument, um immer selbstbewusster zu werden und für sich einstehen zu können.

Viel Spaß beim Ausprobieren und üben. Du wirst erstaunt sein, wie gut sich das Ganze nach kurzer Zeit anfühlt und wieviel mehr Du über andere Menschen erfahren wirst, was Du bisher noch gar nicht wusstest!