Wie kann man eigentlich am besten damit umgehen, wenn man vor etwas Angst hat? Und wie kann man Ängste im Idealfall Schritt für Schritt abbauen?

Zunächst einmal sind Ängste etwas Gutes. 

Ja, ich weiß, das klingt zunächst erst einmal ziemlich schräg. Denn Angst vor etwas zu haben, fühlt sich überhaupt nicht gut an und der natürliche Reflex ist, ein Angstgefühl möglichst schnell wieder loszuwerden. Und das hat auch einen guten Grund, der in der Evolution der Menschheit und der Form wie unser Gehirn funktioniert begründet liegt.

Als wir noch in Höhlen lebten, waren Ängste überlebenswichtig. Deshalb befindet sich unser „Angstzentrum“ auch im ältesten Teil unseres Gehirns, in der sogenannten Amygdala. Die Amygdala ist extrem schnell und sorgt dafür, dass bei einer Störung zwei Dinge passieren:

  1. Voller Fokus auf das Problem – wir geraten also quasi unmittelbar in den berüchtigten „Tunnelblick“ und nehmen kaum noch etwas anderes als das vermeintliche Problem wahr.
  2. Auslösen des Fluchtreflexes – da wir als Höhlenmenschen wilde Tiere, etc. in der Regel nicht besiegen konnten, war es am besten wegzulaufen. Deshalb flutet uns die Amygdala mit Adrenalin, um sämtliche Kräfte im Körper für eine mögliche Flucht zu mobilisieren.

Beides ist also überhaupt nicht dazu geeignet, erst mal in Ruhe zu analysieren, ob es hier gerade tatsächlich ein Problem gibt – denn dann wären wir vor ein paar Tausend Jahren gegebenenfalls schon tot gewesen und aufgefressen worden.

Das Problem ist nun, dass die Amygdala ihren Job heute noch genauso macht, wie vor tausenden von Jahren. Dieser Teil des Gehirns hat sich also nicht wirklich weiterentwickelt, ist aber immer noch der erste der reagiert. Kein Wunder also, dass wir im Falle eines Angstgefühls nicht mehr klar denken können, uns selber in einem Tunnel ohne Handlungsoptionen wähnen und am liebsten einfach davonlaufen würden.

Ein klassischer Fall von Selbsthypnose.

Wenn man Ängste verstehen oder Angstgefühle abbauen will, ist es daher wichtig, sich Zeit zu verschaffen. Dafür ist es notwendig, die Amygdala „auszuhebeln“, indem man erst einmal gar nicht auf den Auslöser (Trigger) des Angsgefühls reagiert und dem Fluchtreflex widersteht. Die Amygdala-Reaktion ist nämlich kurz und heftig (schnell fliehen) und hält nicht besonders lange an. Und das können wir uns zu Nutze machen.

Der nächste Schritt ist dann, nicht einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen.

Viele Menschen versuchen allerdings genau das Gegenteil zu tun. Denn die Amygdala-Reaktion ist heftig und tendenziell erschöpfend. Deshalb neigen wir dazu, möglichst schnell wieder zur “Normalität” überzugehen und den belastenden Moment zu vergessen bzw. zu verdrängen. Das fühlt sich vordergründig gut an, führt aber natürlich dazu, dass sich rein gar nichts verändert und dass man eine ähnliche Situation beim nächsten mal als genauso schlimm, oder sogar immer schlimmer erlebt.

Und hier beginnt unsere Übung.

Wie oben bereits ausgeführt, sind Ängste erst einmal gut, denn sie wollen uns auf eine potentielle Gefahr für uns und unsere Seele hinweisen. Etwas, dass uns nicht guttut. Und das sollten wir uns im Sinne unserer Resilienzfähigkeit natürlich genau anschauen, um mit dieser Art von „Störungen“ zukünftig besser umgehen zu können.

An dieser Stelle bietet sich ein kleiner Exkurs an: zum Konzept des „inneren Teams“ bzw. der „inneren Anteile“. Dieses von Friedemann Schulz von Thun entwickelte Konzept geht davon aus, dass wir als Menschen viele unterschiedliche Persönlichkeitsfacetten besitzen, die permanent in Verhandlung miteinander sind und auch dafür verantwortlich sind, dass wir uns in unterschiedlichen Situationen nicht immer gleich verhalten. Beispielhafte Rollen innerhalb des inneren Teams können z.B. sein:

  • Innerer Antreiber: „Sei perfekt!“
  • Abenteurer: „Mach das, das wird spannend!“
  • Selbstzweifler: „Das schaffst du sowieso nicht!“
  • Genießer: „Genieße das Leben!“
  • Rationalist: „Keine Emotionen zeigen!“
  • Beschützer: „Pass bloß auf, das ist gefährlich!“

Der „Beschützer“ ist also dafür zuständig auf uns aufzupassen und sein stärkstes Mittel um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen ist die „Angst“. Das macht noch einmal deutlich, warum Ängste im Prinzip „gut“ sind.

Nur leider steht uns da die Amygdala im Weg. Denn, die will die Angst „bekämpfen“ und so schnell wie möglich wieder loswerden. Und da das natürlich alles sehr abstrakt und theoretisch ist, soll uns für die nachfolgende Übung für einen besseren Umgang mit auftretenden Ängsten ein Bild helfen:

  1. Stell Dir vor, Du sitzt zu Hause in Deinem Wohnzimmer. Plötzlich klopft es an der Tür. Und draußen steht die Angst und will zu Dir hinein.
  2. Dein Amygdala-Reflex ist jetzt natürlich, der Angst die Tür vor der Nase zuzuschlagen und sie so wieder loszuwerden. Und das auch, obwohl Du ahnst oder bereits die Erfahrung gemacht haben, dass die Angst so schnell nicht aufgibt und immer wieder bei Dir anklopfen wird. Ganz regelmäßig, oder auch, wenn Du es gar nicht (mehr) erwartest.
  3. Stattdessen solltest Du etwas ganz anderes machen. Bitte die Angst herein und biete Ihr einen Platz auf Deinem Sofa an – denn sie wurde ja von Deinem inneren „Beschützer“ geschickt, also einem guten Freund.
  4. Heiße sie also metaphorisch willkommen, denn sie will Dich ja auf eine vermeintliche Gefahr hinweisen, von der es nun herauszufinden gilt, ob sie tatsächlich existiert und wie Du am besten damit umgehen kannst. Das ist toll, denn sie meint es ja gut mit Dir und will Dir helfen.
  5. Deswegen solltest Du die Angst, die da vor Dir sitzt, jetzt in ein Gespräch verwickeln:
    – Warum bist Du eigentlich hier?
    – Wovor möchtest Du mich beschützen?
    – Wie real ist die Gefahr, bzw. wie wahrscheinlich ist es, dass eine negative Konsequenz tatsächlich eintrifft?
    – Was kann ich tun, um dies zu verhindern?
    – Wann ist mir das vielleicht schon einmal gelungen? Und, was genau habe ich damals gemacht?
  6. Anschließend solltest Du Dich bei der Angst und Dir selbst bedanken – bei der Angst für all diese wertvollen Hinweise und bei Dir selbst dafür, dass Du den Mut gefunden hast, die Angst hereinzulassen und als Helfer zu betrachten – statt als Feind.

Im Ergebnis passieren vermutlich zwei Dinge: Erstens, ist die Angst wahrscheinlich gar nicht mehr so groß und übermächtig, wie sie sich vorher angefühlt hat. Im besten Fall hat sie sich sogar aufgelöst. Und zweitens, fällt es Dir ggf. viel einfacher eine Strategie zu entwickeln, wie Du zukünftig besser mit diesen Angst auslösenden Situationen umgehen kannst.

P.S.: Hier fehlt noch eine wichtige Anmerkung: Wie bei den meisten Dingen im Leben, muss man sie trainieren. Wenn Du Dir also eine neue Strategie zum Umgang mit einem Angstauslöser ausdenkst, gehe nicht davon aus, dass das sofort funktioniert. Die Amygdala ist blitzschnell. Schneller als alles, was Du Dir ggf. vorgenommen hast. Wenn Du also merkst, dass sie anspringt, solltest Du erst einmal tief durchatmen und versuchen Dich wieder zu erden, bevor Du reagierst. Das wird Dir helfen, dass, was Du Dir vorgenommen hast, tatsächlich auch umsetzen zu können.