Warum wird Resilienz eigentlich immer wichtiger für unsere psychologische Gesundheit? Und was hat das Ganze mit der zunehmenden Unsicherheit zu tun, die viele Menschen empfinden?

Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass wir uns an einem Punkt in der menschlichen Geschichte befinden, den wir vermutlich als das Ende einer Epoche oder auch als epochale Zeitenwende begreifen können. Das gilt vor allem für die erste Welt, als deren Teil wir uns als Europäer begreifen, aber mit leicht anderen Vorzeichen sicherlich auch für alle anderen Menschen auf unserem Planeten

Das letzte mal, dass so eine epochale Zeitenwende stattgefunden hat, ist fast 300 Jahre her, es war die Aufklärung bzw. Renaissance, die das Ende des Mittelalters eingeleitet hat. Das ihr zugrunde liegende Narrativ hat uns die letzten 300 Jahre begleitet. Es hat auf drei wesentlichen Säulen aufgebaut:

  1. Individuelle Freiheit durch die Befreiung aus der sozialen Abhängigkeit – also das Ende der Leibeigenschaft und damit die Möglichkeit zur sozialen Selbstbestimmheit
  2. Abkopplung von der Natur – also den Glauben, dass wir Menschen uns die Welt durch die Nutzung von Technik und durch die industrielle Produktion unterwerfen können
  3. Abkehr vom Mangel – also die Befreiung von Hunger und Not, und der Glaube an die Möglichkeit, zunehmenden Wohlstand für alle ermöglichen zu können

Zusammengenommen hat uns die Aufklärung also den Glauben und das Versprechen auf eine bessere Zukunft für alle gegeben – und dieses Narrativ hat in der Breite der Gesellschaft fast drei Jahrhunderte getragen.

Das große Problem – und das erleben wir als massive Störung, die Stress produziert und Ängste auslöst – ist nun aber, dass wir „plötzlich“ feststellen: in der Form, in der wir dieses „Zukunftsversprechen“ und diesen Glauben an ewiges Wachstum als Individuen und Gesellschaften umgesetzt haben, haben wir gleichzeitig großen Schaden angerichtet:

  • Die Kosten der vorherrschenden Wirtschaftssysteme überschreiten die erzielten Gewinne – die Bilanz ist zunehmend negativ
  • Der Umgang mit der Natur führt zu einer schrittweisen Zerstörung unserer Lebensgrundlage – die Klimakatastrophe ist kaum noch aufzuhalten
  • Das Fortschrittsnarrativ verliert an Kraft, Bedeutung und Glaubwürdigkeit – die immer ungleichere Verteilung der Ressourcen und Gewinne führt zu einer zunehmenden Spaltung auf allen Ebenen zwischenmenschlichen Lebens (Familien, Gruppen, Gesellschaften, Länder, Kontinente)

Mit anderen Worten: Aus der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist eine wachsende Bedrohung geworden – selbst für die Profiteure!

Aber warum ist diese Entwicklung so herausfordernd? Was macht es mit uns als Menschen? Und was hat das Ganze mit Resilienz zu tun?

Der wesentliche Effekt ist die Auflösung des Vertrauten – dessen, was uns Sicherheit und Orientierung gegeben hat. In dem Maße in dem jenes, an das wir geglaubt haben, nicht mehr gilt, geht Vertrauen verloren. Orientierung schwindet. Komplexität nimmt zu. Im Ergebnis entsteht zunächst Ungewissheit. Man weiß nicht (mehr), was die richtigen Antworten auf die zentralen Fragen des Lebens sind. Was man denken, und wie man sich Verhalten soll. Wofür es sich lohnt, Engagement und Energie einzusetzen. Diese Ungewissheit führt zu Unsicherheit. Und diese Unsicherheit kreiert Ängste. Und diese Ängste führen wiederum führen entweder zu einem Gefühl von Ohnmacht und schließlich Resignation, oder zu Widerstand. Man will es nicht wahr haben und wehrt sich (was wir ja zum Teil auf unseren Straßen sehen und erleben können).

Aber wie lassen sich in dieser Welt neue Antworten und Handlungsoptionen entwickeln? Wie kann man dabei bestmöglich mit der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit der Veränderungen umgehen? Was hilft einem, dabei nicht „durchzudrehen“ oder aufzugeben?

Vor allem die wesentlichen Resilienz-Fähigkeiten wie Akzeptanz, Bewusstheit, Empathie, Mitgefühl, Optimismus, etc. Aber es gibt noch einige andere Aspekte, die wichtig sind um mit den Herausforderungen der individuellen, organisationalen und gesellschaftlichen Zukunftsgestaltung besser umzugehen. Hierzu gehören:

  1. Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge ehrlich hinterfragen – das knöpft natürlich an die Dimensionen Bewusstheit und Achtsamkeit an. Welche Auswirkungen hat mein Verhalten auf meine Umwelt? Womit kann ich einen Beitrag leisten, die identifizierten Probleme zumindest im Kleinen anzugehen? Welche Organisationen, Institutionen oder Parteien sollte ich unterstützen, damit die notwendigen Veränderungen tatsächlich angegangen und strukturell gelöst werden, wo ich als Individuum nicht mehr selbstwirksam sein kann?
  2. Unsicherheit als Konstante des Lebens begreifen – dabei geht es vor allem um Akzeptanz. Denn nur aus der Akzeptanz des Heute & Jetzt kann am Ende ein Optimismus für die Zukunft entstehen. Dazu ist es notwendig die Ungewissheit als Konstante des Lebens zu begreifen – und einen zentralen Teil unseres Daseins. Natürlich wünschen wir uns Sicherheit. Aber diese Sicherheit gibt es in der Realität eigentlich nicht. Sie ist auch nur eine Wirklichkeitskonstruktion. Eine Sehnsucht. In dem Maße, wie es uns gelingt eine Ungewissheitskompetenz zu entwickeln, werden wir also resilienter. Dazu ist es wichtig, jedem Impuls zur Beruhigung zu widerstehen und jede Form der Relativierung zu hinterfragen, da sie oft nur dem Zeck der eigenen Beruhigung dienen – und damit dem Nichts-Tun und Nicht-Verändern.
  3. Paradoxien als Grenzen der Gewissheit erkennen – denn auf die meisten Fragen, denen wir uns stellen müssen, gibt es keine eindeutigen Antworten. Jede Lösung hat Vor- und Nachteile. Und in jeder vermeintlichen Gewissheit ist auch immer schon die Existenz oder Möglichkeit des Gegenteils angelegt. Wir wissen oder ahnen also, dass es gleichzeitig auch ganz anders ist bzw. sein kann. Es gibt also nicht die eine Gewissheit, sondern nur Mehrfach-Gewissheiten bzw. Multioptionalität. In der Konsequenz geht es also darum, diejenigen Optionen, die wir aus unterschiedlichsten Gründen gerne ausblenden würden, in der Auseinandersetzung mit uns selbst und anderen ansprechbar, diskutierbar und verhandelbar zu machen – und sich so ergebnisoffen auf die Ungewissheit einzulassen. In diesem Sinne geht es also auch um ein Bewusstsein dafür, dass es vermutlich keine optimale Lösung bzw. Entscheidung gibt, sondern nur eine zu einem bestimmten Zeitpunkt und mit einem bestimmten Wissenstand beste Variante – die man ggf. später wieder in Frage stellen muss. Mit anderen Worten ist es wichtig, die Kunst des UND zu erlernen, und das ENTWEDER-ODER wo immer nötig zu vermeiden. 

Alle drei Aspekte und Fähigkeiten helfen uns unsere Ungewissheitskompetenz zu entwickeln und mit den zunehmend schnelleren und komplexeren Herausforderungen unseres Lebens besser umzugehen – und gleichzeitig einen positiven Beitrag zu den notwendigen Veränderungen zu leisten, die am Ende das Überleben der Menschheit sichern werden. Wir haben drauf mehr Einfluß, als wir oft denken – in unseren Familien, den Unternehmen und Organisation, in denen wir mitarbeiten, und unserer Gesellschaft.